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- BUNDESGERICHTSHOF
- BESCHLUSS
- II ZB 24/05
- vom
- 3. Juli 2006
- in dem Rechtsstreit
- Nachschlagewerk: ja
- BGHZ:
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- nein
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- BGHR:
-
- ja
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- ZPO § 233 D
- Dem Berufungskläger ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren,
- wenn während eines Zeitraums von fünf Arbeitstagen versäumt wird, den versehentlich bei dem Landgericht eingereichten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist an das zuständige Oberlandesgericht weiterzuleiten.
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- BGH, Beschluss vom 3. Juli 2006 - II ZB 24/05 - OLG Frankfurt am Main
- LG Wiesbaden
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- Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 3. Juli 2007 durch den
- Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly, Kraemer,
- Prof. Dr. Gehrlein und Caliebe
- beschlossen:
- Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des
- 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom
- 13. September 2005 aufgehoben und dem Beklagten gegen die
- Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.
- Beschwerdewert: 56.475,13 €
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- Gründe:
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- I. Der Beklagte hat gegen das ihm am 17. Mai 2005 zugestellte Urteil des
- Landgerichts Wiesbaden durch am 15. Juni 2005 beim Oberlandesgericht
- Frankfurt am Main eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Mit einem an
- das Landgericht Wiesbaden adressierten, dort am 12. Juli 2005 eingegangenen
- Schriftsatz hat der Beklagte gebeten, die Berufungsbegründungsfrist wegen
- Arbeitsüberlastung um einen Monat zu verlängern. Aufgrund einer Verfügung
- der Kammervorsitzenden vom 25. Juli 2005 ist dieser Schriftsatz am 27. Juli
- 2005 bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main eingegangen.
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- Der von dem Senatsvorsitzenden am 22. Juli 2005 über den Ablauf der
- Berufungsbegründungsfrist unterrichtete Beklagte hat mit am 1. August 2005
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- bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, der Antrag auf
- Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sei versehentlich an das Landgericht Wiesbaden gerichtet worden, weil seine Kanzleiangestellte offenbar im
- Zuge eines in gleicher Sache gefertigten, ein Tatbestandsberichtigungsverfahren betreffenden Schriftsatzes auch das Verlängerungsgesuch an das Landgericht Wiesbaden adressiert habe. Da der Schriftsatz eine Woche vor Ablauf der
- Berufungsbegründungsfrist beim Landgericht Wiesbaden eingegangen sei, wäre es ohne weiteres möglich gewesen, den Schriftsatz im normalen Geschäftsgang an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main weiterzuleiten.
- Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten
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- zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet
- sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses begehrt und den Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt.
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- II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet, weil eine Weiterleitung des Schriftsatzes vom 12. Juli 2005 bis zum Fristablauf am 18. Juli 2005
- im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres möglich war.
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- 1. Ein Gericht, das im vorangegangenen Rechtszug mit der Sache befasst war, ist regelmäßig verpflichtet, fristgebundene Schriftsätze für das
- Rechtsmittelverfahren, die bei ihm eingereicht werden, im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Geht der
- Schriftsatz so rechtzeitig ein, dass eine fristgerechte Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, wirkt sich ein Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten nicht mehr aus, wenn
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- der Schriftsatz nicht rechtzeitig an das Rechtsmittelgericht weitergeleitet wird
- (Sen.Beschl. v. 6. Juni 2005 - II ZB 9/04, NJW-RR 2005, 1373 f. m.w.Nachw.;
- Sen.Urt. v. 1. Dezember 1997 - II ZR 85/97, NJW 1998, 908).
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- 2. Die Auffassung des Oberlandesgerichts, dass eine fristgemäße Weiterleitung des Schriftsatzes im ordentlichen Geschäftsgang nicht zu erwarten
- war, ist rechtsfehlerhaft.
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- Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, das Landgericht habe die zu beobachtende Fürsorgepflicht nicht verletzt. Es kann - auch bei der bekanntermaßen stark belasteten und personell nicht immer hinreichend ausgestatteten Justiz - nicht hingenommen werden, daß eine auch binnen fünf Arbeitstagen nicht
- bewirkte Weiterleitung eines Schriftsatzes von einem Landgericht zu einem
- Oberlandesgericht als eine Verfahrensweise qualifiziert wird, die "einem ordentlichen Geschäftsgang" entspricht. Dass das Landgericht Wiesbaden den ihm
- von dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main zugebilligten langen Zeitraum
- für eine solche Maßnahme nicht benötigt, wird aus dem späteren Ablauf deutlich. Nachdem der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Kammer auf seinen Fehler aufmerksam gemacht und die Vorsitzende die Weiterleitung am
- 25. Juli 2005 verfügt hatte, hat der Schriftsatz bereits am übernächsten Tag
- (27. Juli 2005) dem Berufungsgericht vorgelegen.
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- Rechtsfehlerhaft glaubt das Berufungsgericht obendrein, deswegen geringere Anforderungen an die Erfüllung der Fürsorgepflicht des Landgerichts
- stellen zu können, weil für eine erstinstanzliche Zivilkammer Anträge auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht zum "alltäglichen Geschäftsanfall" gehören; gerade dieser Umstand musste die Kammer, die von der Anhängigkeit der Berufung Kenntnis hatte, zu besonderer Sorgfalt veranlassen. Da
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- danach der Fehler des Prozessbevollmächtigten des Beklagten nicht ursächlich
- geworden ist, ist das Wiedereinsetzungsgesuch begründet.
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- Goette
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- Kurzwelly
- Gehrlein
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- Kraemer
- Caliebe
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- Vorinstanzen:
- LG Wiesbaden, Entscheidung vom 15.04.2005 - 5 O 222/03 OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 13.09.2005 - 10 U 100/05 -
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