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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. I ZR 13/12
  5. Verkündet am:
  6. 6. Februar 2013
  7. Führinger
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. Basis3
  19. ZPO § 281 Abs. 1, § 313 Abs. 2, § 540 Abs. 1; GWB §§ 87, 91, 92 Abs. 1
  20. a) Enthält ein Berufungsurteil unklare und lückenhafte Ausführungen dazu, welche Hilfsanträge eine Partei in der Berufungsinstanz gestellt hat, ist das Urteil
  21. wegen eines von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangels
  22. aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an
  23. das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
  24. b) Gegenstand einer gemäß § 281 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit §§ 87, 91, 92
  25. Abs. 1 GWB in Frage kommenden Verweisung an das für Kartellsachen zuständige Oberlandesgericht ist nicht die Prüfung von einzelnen rechtlichen
  26. Anspruchsgrundlagen, sondern umfasst den gesamten von der kartellrechtlichen Fragestellung betroffenen Streitgegenstand.
  27. BGH, Urteil vom 6. Februar 2013 - I ZR 13/12 - OLG Köln
  28. LG Köln
  29. -2-
  30. Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Februar 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm
  31. und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Koch und Dr. Löffler
  32. für Recht erkannt:
  33. Auf die Revision der Beklagten wird das Teilurteil des 6. Zivilsenats
  34. des Oberlandesgerichts Köln vom 21. Dezember 2011 aufgehoben.
  35. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über
  36. die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  37. Von Rechts wegen
  38. Tatbestand:
  39. 1
  40. Die Beklagte ist Betreiberin der unter „O. “ firmierenden Bau- und Heimwerkermarktkette. Die Märkte werden teilweise von der Beklagten selbst, teilweise von Franchisenehmern betrieben.
  41. 2
  42. In den von Franchisenehmern betriebenen Märkten werden neben den
  43. von der Beklagten zentral bezogenen Produkten auch solche Produkte angeboten, die der Franchisenehmer selbst einkauft (sogenannte „i-Artikel“).
  44. 3
  45. Die Klägerin ist Lieferantin der Beklagten und auch einzelner Franchisenehmer, denen sie unter anderem „i-Artikel“ liefert.
  46. -3-
  47. 4
  48. Die Beklagte betreibt für die gesamte Kette das Warenwirtschaftssystem
  49. „Basis3“, auf das nur Nutzer mit sogenannten Marktleiterrechten einen umfassenden Zugriff haben. Die Zugriffserlaubnis sieht bestimmte Regeln vor. So darf
  50. betriebsfremden Personen der Zugriff nicht gestattet werden. Die Installation
  51. von Hard- und Software und die Änderung von Systemeinstellungen darf nur
  52. nach Freigabe durch ein von der Beklagten bestimmtes Unternehmen vorgenommen werden.
  53. 5
  54. Während die Daten der bei der Beklagten zentral eingekauften Artikel
  55. elektronisch eingelesen und bestellt werden können, müssen die von den Franchisenehmern individuell bestellten „i-Artikel“ aufwendig manuell eingegeben
  56. werden; zudem sind deren Bestellungen nur über einen Papierausdruck möglich. Um diesen Bestellvorgang zu vereinfachen, entwickelte der für die Beklagte freiberuflich tätige IT-Trainer S. im Auftrag eines Mitarbeiters einer Komplementärin mehrerer Franchisenehmer der Beklagten eine sogenannte „Umgehungslösung“. Dabei handelt es sich um ein in dem Programm Microsoft Excel
  57. programmiertes Makro, in dem in einer Excel-Datei hinterlegte Dateien der
  58. „i­Artikel“ automatisch in die entsprechende Eingabemaske des Systems Basis3
  59. eingegeben werden konnten.
  60. 6
  61. Als die Klägerin, die sich in Rahmenverträgen gegenüber einer großen
  62. Zahl von Franchisenehmern der Beklagten verpflichtet hatte, die Eingabe der
  63. „i­Artikel“-Daten in Basis3 zu übernehmen, von der Programmierung der Umgehungslösung erfuhr, beauftragte sie mindestens vier Personen (Artikelanleger)
  64. damit, die erforderlichen Daten mithilfe der Umgehungslösung in Basis3 einzuspielen. Bei den Artikelanlegern handelte es sich um zwei Mitarbeiter von O. Märkten und zwei unternehmensfremde Personen. Ihnen wurden in O. -Märkten Benutzerkonten mit Marktleiterrechten eingerichtet. Sie erhielten die Datei
  65. mit der „Umgehungslösung“ und die „i-Artikel“-Daten auf einem USB-Stick.
  66. S. entwickelte zudem im Auftrag der Klägerin eine Lösung zur Vereinfachung
  67. -4-
  68. des Bestellvorgangs. Statt der Verwendung eines Papierausdrucks sollte danach die Ausgabe in einer einlesbaren PDF-Datei erfolgen. Dieses Vorhaben
  69. wurde letztlich nicht umgesetzt.
  70. 7
  71. Nachdem die Beklagte von diesen Vorgängen erfahren hatte, warf sie der
  72. Klägerin in zwei Schreiben vor, die Sicherungssysteme der Beklagten umgangen, in Basis3 unbefugt eingegriffen und damit die Integrität und Funktionalität
  73. des Systems gefährdet zu haben. Das erste Schreiben vom 9. Juli 2010 war an
  74. eine Vielzahl von O. -Märkten, das zweite vom 27. September 2010 an alle
  75. aktiven Franchisepartner gerichtet.
  76. 8
  77. Diese Schreiben hat die Klägerin mit der auf Untersagung und Widerruf
  78. gerichteten Klage als irreführend und herabsetzend angegriffen. Die Klage ist
  79. rechtskräftig abgewiesen worden. Im vorliegenden Revisionsverfahren geht es
  80. allein um die von der Beklagten erhobenen Widerklage, mit der sie in erster Instanz beantragt hat,
  81. es zu unterlassen,
  82. 1. selbst oder durch Dritte Artikeldaten aus dem und/oder in das Warenwirtschaftssystem Basis3 der Beklagten mittels von der Beklagten nicht freigegebenen Hard- und/oder Software zu importieren oder sonst Zugriff auf das Warenwirtschaftssystem Basis3 der Beklagten zu nehmen oder durch beauftragte
  83. Dritte nehmen zu lassen,
  84. 2. selbst oder durch Dritte eine Hard- und/oder Software oder sonstige Vorgehensweise, die eine elektronische Bestellung aus dem Warenwirtschaftssystem
  85. Basis3 der Beklagten für nicht zentral über die Beklagte eingekauften Artikel
  86. (sogenannter i-Artikel) ermöglicht, zu entwickeln, herzustellen und/oder zu verwenden.
  87. 9
  88. Das Landgericht hat die Klägerin auf die Widerklage antragsgemäß zur
  89. Unterlassung verurteilt. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht
  90. das Urteil des Landgerichts in einem Teilurteil
  91. -5-
  92. teilweise dahin abgeändert, dass auch die Widerklage nach dem Hauptantrag zu 1
  93. und dem Antrag zu 2, einschließlich der insoweit geltend gemachten Hilfsanträge,
  94. abgewiesen wird.
  95. Das Berufungsgericht hat weiter „hinsichtlich des Hilfsantrags zum Wider-
  96. 10
  97. klageantrag zu 1“ seine Unzuständigkeit festgestellt und insoweit den Rechtsstreit an das Oberlandesgericht Düsseldorf verwiesen.
  98. 11
  99. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die
  100. Klägerin beantragt, erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
  101. Entscheidungsgründe:
  102. 12
  103. I. Das Berufungsgericht hat Unterlassungsansprüche der Beklagten gemäß § 4 Nr. 10 und 11 in Verbindung mit § 17 UWG und § 823 Abs. 1, § 1004
  104. BGB verneint. Im Hinblick auf Ansprüche, die auf § 823 BGB in Verbindung mit
  105. § 1 GWB gestützt sind, hat es seine Zuständigkeit verneint und die Sache an
  106. das für Kartellsachen zuständige Oberlandesgericht Düsseldorf verwiesen.
  107. 13
  108. II. Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das Berufungsurteil lässt nicht
  109. hinreichend klar erkennen, welche Berufungsanträge die Beklagte gestellt hat.
  110. Es leidet deshalb an einem von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel, der zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache
  111. führt.
  112. 14
  113. 1. Gemäß § 313 Abs. 2 ZPO soll der Tatbestand des Urteils die erhobenen Ansprüche und die dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel
  114. unter Hervorhebung der gestellten Anträge ihrem wesentlichen Inhalt nach
  115. knapp darstellen. Diese Vorschrift gilt gemäß § 525 ZPO auch für das Beru-
  116. -6-
  117. fungsurteil, und zwar mit der Maßgabe, dass das Berufungsurteil nach § 540
  118. Abs. 1 ZPO anstelle des Tatbestandes die Bezugnahme auf die tatsächlichen
  119. Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen
  120. und Ergänzungen enthält.
  121. 15
  122. Die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen
  123. Urteil kann sich allerdings naturgemäß nicht auf die im zweiten Rechtszug gestellten Anträge erstrecken. Die Aufnahme der Berufungsanträge in das Berufungsurteil ist daher unbedingt erforderlich. Soweit das Berufungsurteil auf die
  124. wörtliche Wiedergabe der Berufungsanträge verzichtet, muss es wenigstens
  125. erkennen lassen, was der Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel erstrebt
  126. hat. Dabei müssen die tatbestandlichen Darstellungen in den Gründen des Berufungsurteils ausreichen, um eine revisionsrechtliche Nachprüfung zu ermöglichen. Das ist nicht der Fall, wenn tatbestandliche Darstellungen in einem Berufungsurteil fehlen oder derart widersprüchlich, unklar oder lückenhaft sind, dass
  127. sich die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung des Berufungsgerichts
  128. nicht mehr zweifelsfrei erkennen lassen (BGH, Beschluss vom 13. August 2003
  129. - XII ZR 303/02, BGHZ 156, 97, 99, mwN). Entsprechendes gilt, wenn die Darstellung im Berufungsurteil die in der Berufungsinstanz gestellten Anträge und
  130. daher das Ziel der Berufung nicht hinreichend deutlich erkennen lässt (vgl.
  131. BGH, Urteil vom 26. Februar 2003 - VIII ZR 262/02, BGHZ 154, 99, 101; Urteil
  132. vom 14. Januar 2005 - V ZR 99/04, NJW-RR 2005, 716, 717; Urteil vom
  133. 29. März 2007 - I ZR 152/04, GRUR 2007, 807 Rn. 5, 7 = WRP 2007, 955
  134. - Fachanwälte; Urteil vom 25. Mai 2011 - IV ZR 59/09, NJW 2011, 2054 Rn. 9;
  135. Zöller/Heßler, ZPO, 29. Aufl., § 540 Rn. 8; Musielak/Ball, ZPO, 9. Aufl., § 540
  136. Rn. 3; Saenger/Wöstmann, ZPO, 5. Aufl., § 540 Rn. 2). Dabei ist die Wiedergabe der Berufungsanträge auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil sie im Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem Berufungsgericht enthalten sind
  137. (§§ 525, 160 Abs. 3 Nr. 2 ZPO). Zwar unterliegt nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO
  138. -7-
  139. der Beurteilung des Revisionsgerichts auch dasjenige Parteivorbringen, das
  140. aus dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist; dies betrifft jedoch nur Parteivorbringen tatsächlicher Art (BGH, NJW-RR 2005, 716, 717 mwN). Fehlt es an den
  141. beschriebenen Mindestvoraussetzungen, ist das Urteil bereits wegen dieses
  142. von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangels aufzuheben und
  143. die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht
  144. zurückzuverweisen (BGHZ 154, 99, 101).
  145. 16
  146. 2. Diesen Anforderungen genügt das Berufungsurteil nicht. Es enthält unklare und lückenhafte Ausführungen dazu, welche Hilfsanträge die Beklagte in
  147. der Berufungsinstanz gestellt hat.
  148. 17
  149. Das Berufungsgericht hat unter Ziffer II der Urteilsgründe ausgeführt:
  150. Die Berufung hat hinsichtlich der Klageabweisung keinen Erfolg und hinsichtlich
  151. der Widerklage teilweise Erfolg; sie führt zur Abweisung der Widerklage nach dem
  152. Hauptantrag zu 1 und dem Antrag zu 2 einschließlich der Hilfsanträge. Wegen des
  153. ersten Hilfsantrags zum Widerklageantrag zu 1 (und der Entscheidung über diesen
  154. Antrag abhängigen weiteren Hilfsanträge) war der Rechtsstreit an das zuständige
  155. Oberlandesgericht Düsseldorf zu verweisen.
  156. 18
  157. Ebenfalls unter Ziffer II der Entscheidungsgründe wird ferner ein „gesondert formulierter Hilfsantrag zu 4“ erwähnt. Diese Formulierungen lassen darauf
  158. schließen, dass die Beklagte sowohl im Hinblick auf den Widerklageantrag zu 1
  159. als auch hinsichtlich des Widerklageantrags zu 2 jeweils mehrere Hilfsanträge
  160. gestellt hat. Im Widerspruch dazu hat das Berufungsgericht unter Ziffer I der
  161. Urteilsgründe ausgeführt, die Beklagte verteidige das angefochtene landgerichtliche Urteil
  162. mit der Maßgabe, dass zum Klageantrag zu 1 im Hinblick auf die dort geltend gemachten kartellrechtlichen Ansprüche hilfsweise die Verweisung des Rechtsstreits
  163. an das Oberlandesgericht Düsseldorf beantragt werde und im Antrag zu 2 die
  164. Handlungsalternativen „Entwickeln“ und „Herstellen“ entfallen sollen.
  165. -8-
  166. 19
  167. Weitere, über den Verweisungsantrag hinausgehende Hilfsanträge werden dort nicht erwähnt. Eine Auslegung der Urteilsgründe in ihrer Gesamtheit
  168. lässt ebenfalls nicht hinreichend klar erkennen, welche Hilfsanträge mit welchem Inhalt insoweit gestellt worden sind. Auch der erwähnte „gesondert formulierte Hilfsantrag zu 4“ wird weder inhaltlich wiedergegeben noch lässt sich sein
  169. Inhalt der weiteren Subsumtion entnehmen. Damit ist dem Berufungsurteil Umfang und Ziel der Berufung nicht mit der notwendigen Klarheit zu entnehmen.
  170. 20
  171. III. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und die Sache ist zur neuen
  172. Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
  173. 21
  174. IV. In der neuen Berufungsverhandlung wird das Berufungsgericht erneut
  175. zu prüfen haben, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang seine Zuständigkeit im Hinblick darauf zu verneinen ist, weil sich kartellrechtliche Fragen stellen
  176. (§§ 87, 91, 92 Abs. 1 GWB). Dabei erstreckt sich eine insoweit gemäß § 281
  177. Abs. 1 ZPO in Frage kommenden Verweisung an das für Kartellsachen zuständige Oberlandesgericht nicht - wie das Berufungsgericht offenbar angenommen
  178. -9-
  179. hat - auf die Prüfung einzelner Anspruchsgrundlagen, sondern betrifft den gesamten von der kartellrechtlichen Fragestellung betroffenen Streitgegenstand
  180. (vgl. Bornkamm in Langen/Bunte, Kartellrecht, 11. Aufl., § 87 GWB Rn. 19; Zöller/Greger aaO § 281 Rn. 8).
  181. Bornkamm
  182. Pokrant
  183. Koch
  184. Büscher
  185. Löffler
  186. Vorinstanzen:
  187. LG Köln, Entscheidung vom 19.05.2011 - 31 O 609/10 OLG Köln, Entscheidung vom 21.12.2011 - 6 U 125/11 -