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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. 3 StR 53/02
  4. URTEIL
  5. vom
  6. 23. Mai 2002
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. ,
  10. wegen schweren Raubes u.a.
  11. -2-
  12. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Mai 2002,
  13. an der teilgenommen haben:
  14. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
  15. Prof. Dr. Tolksdorf,
  16. Richterin am Bundesgerichtshof
  17. Dr. Rissing-van Saan,
  18. die Richter am Bundesgerichtshof
  19. Dr. Miebach,
  20. Winkler,
  21. von Lienen
  22. als beisitzende Richter,
  23. Staatsanwältin
  24. als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
  25. Justizangestellte
  26. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  27. für Recht erkannt:
  28. -3-
  29. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 29. Oktober 2001 und ihre sofortigen
  30. Beschwerden gegen die Kostenentscheidung des vorgenannten
  31. Urteils sowie gegen die Entscheidung über die Entschädigung
  32. des Angeklagten werden verworfen.
  33. Die Kosten der Rechtsmittel sowie die dem Angeklagten durch
  34. diese entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
  35. Von Rechts wegen
  36. Gründe:
  37. Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des schweren Raubes und der tateinheitlich damit begangenen schweren Körperverletzung zum
  38. Nachteil des Zeugen S.
  39. freigesprochen.
  40. Gegen diesen Freispruch wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer
  41. - vom Generalbundesanwalt nicht vertretenen - Revision, mit der die Beweiswürdigung des Landgerichts aus sachlich-rechtlichen Erwägungen beanstandet
  42. wird. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
  43. Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen, weil es nicht hat
  44. ausschließen können, daß der Zeuge S.
  45. dem Angeklagten am Vorabend
  46. des Tattages freiwillig zwei Schmuckstücke ausgehändigt hatte und der Angeklagte später in dem Streit mit S.
  47. um die Rückforderung der Schmuck-
  48. -4-
  49. stücke von diesem mit einem Messer angegriffen wurde. Gegen diesen Angriff
  50. durfte sich der Angeklagte nach Auffassung des Landgerichts mit dem lebensbedrohlichen Messerstich verteidigen.
  51. 1. Wie der Generalbundesanwalt bereits in seiner Antragsschrift vom
  52. 5. März 2002 zutreffend ausgeführt hat, weist die dem Freispruch zugrunde
  53. liegende Beweiswürdigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Der geschädigte Zeuge S.
  54. hat in der Hauptverhandlung eingeräumt, bei der poli-
  55. zeilichen Vernehmung im Krankenhaus "sauer" auf den Angeklagten gewesen
  56. zu sein und deshalb bei seiner Schilderung übertrieben und zum Teil gelogen
  57. zu haben. Insbesondere hat er in der Hauptverhandlung angegeben, es könne
  58. sein, daß er dem Angeklagten den Ring und die Halskette "im Suff" geschenkt
  59. habe. An den Tathergang im Zusammenhang mit dem Messerstich konnte der
  60. Zeuge sich nicht mehr erinnern, räumte aber einen Streit um die Rückgabe der
  61. Schmuckstücke ein. Das Landgericht hat deshalb die Einlassung des Angeklagten, der Zeuge S.
  62. habe im Rahmen eines heftigen verbalen Streits ein
  63. auf dem Küchentisch liegendes ca. 17 cm langes Küchenmesser ergriffen und
  64. sich gerade von seinem Stuhl in seine Richtung erhoben, so daß er angenommen habe, dieser werde ihn jeden Moment "abstechen", als nicht widerlegbar
  65. angesehen und ist nach dem Grundsatz in dubio pro reo von einer Notwehrlage ausgegangen, zumal bei der polizeilichen Tatortaufnahme tatsächlich ein
  66. zweites Messer auf dem Küchentisch gefunden wurde. Angesichts der Tatsache, daß beide Kontrahenten - der Angeklagte und der Zeuge S.
  67. - bei
  68. dem Streit erheblich alkoholisiert waren, bedurfte es bei der Erörterung der
  69. Frage, ob der sofortige Stich in das Herz des Geschädigten die erforderliche
  70. Verteidigungshandlung war, nicht notwendig der ausdrücklichen Erwähnung,
  71. daß der Angeklagte während des sowjetischen Afghanistan-Krieges eine militärische Einzelkämpferausbildung erhalten hatte.
  72. -5-
  73. 2. Den nicht näher begründeten sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaft gegen die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils und über
  74. die Entschädigung des Angeklagten für die erlittene Untersuchungshaft ist
  75. ebenfalls der Erfolg zu versagen.
  76. a) Das Landgericht hat bei seiner Kostenentscheidung die Ermessensvorschrift des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StPO nicht ausdrücklich geprüft. Diese
  77. Vorschrift kommt jedoch nicht zur Anwendung, weil schon ihre Voraussetzungen nicht vorliegen. Der Angeklagte hat sich weder selbst wahrheitswidrig belastet noch wesentliche entlastende Umstände verschwiegen und dadurch die
  78. Anklageerhebung verursacht. Der Angeklagte hat allerdings gegenüber einer
  79. Nachbarin und den am Tatort eingesetzten Polizeibeamten spontane Äußerungen über den Tathergang gemacht und dabei seine in der Hauptverhandlung
  80. vorgebrachte Notwehrlage verschwiegen; bei seinen förmlichen Vernehmungen
  81. hat er aber keine Angaben zur Sache gemacht.
  82. Der Senat kann offen lassen, ob ein schuldhaftes Verschweigen von
  83. entlastenden Umständen Erklärungen des Beschuldigten zur Sache voraussetzt, die dieser in einer förmlichen Vernehmung i. S. d. §§ 136, 163 a Abs. 1
  84. Satz 1 und 2 StPO abgegeben hat (so Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO
  85. 25. Aufl. § 467 Rdn. 41 f.; vgl. auch Franke in KK-StPO 4. Aufl. § 467 Rdn. 8),
  86. oder ob auch Äußerungen in einer informatorischen Vernehmung oder schriftlichen Erklärung als Grundlage für eine Ermessensentscheidung nach § 467
  87. Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StPO dienen können (so Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO
  88. 45. Aufl. § 467 Rdn. 8). Angesichts des Umstandes, daß der Angeklagte in der
  89. Tatsituation betroffen und durch die Aussage des Geschädigten im Ermittlungsverfahren maßgeblich belastet worden war, scheidet das Verschweigen
  90. der später vorgebrachten Umstände als vorwerfbare Mitverursachung der An-
  91. -6-
  92. klageerhebung aus. Ein rechtzeitiges Vorbringen der Notwehrlage hätte nichts
  93. an dem wesentlich auf den früheren, erst in der Hauptverhandlung widerrufenen Angaben des geschädigten Zeugen S.
  94. beruhenden dringenden Tat-
  95. verdacht des Raubes geändert. Auch hätte ein solches Vorbringen im Widerspruch zu den Bekundungen dieses Zeugen zu dem sich um die Rückgabe des
  96. Schmucks entwickelnden Streit gestanden.
  97. b) Aus diesen Gründen scheidet das Aussageverhalten des Angeklagten
  98. auch als Ursache für die Anordnung und Auf rechterhaltung der Untersuchungshaft aus. Die Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft kann
  99. deshalb weder nach § 5 Abs. 2 StrEG noch nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 StrEG versagt werden.
  100. Tolksdorf
  101. Rissing-van Saan
  102. Winkler
  103. Miebach
  104. Richter am Bundesgerichtshof
  105. von Lienen ist infolge Urlaubs
  106. an der Unterschrift gehindert.
  107. Tolksdorf