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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 3 StR 297/02
  5. vom
  6. 5. Dezember 2002
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
  10. Menge u. a.
  11. -2-
  12. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. Dezember
  13. 2002, an der teilgenommen haben:
  14. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
  15. Prof. Dr. Tolksdorf,
  16. die Richter am Bundesgerichtshof
  17. Pfister,
  18. von Lienen,
  19. Becker,
  20. Hubert
  21. als beisitzende Richter,
  22. Bundesanwalt
  23. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  24. Rechtsanwalt
  25. als Verteidiger,
  26. Justizamtsinspektorin
  27. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  28. für Recht erkannt:
  29. -3-
  30. 1. Auf die Revision des Angeklagten G.
  31. wird das Urteil des
  32. Landgerichts Duisburg vom 8. März 2002, soweit es diesen
  33. Angeklagten betrifft,
  34. a) im Schuldspruch dahin neu gefaßt, daß er des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen sowie des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
  35. schuldig ist,
  36. b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
  37. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
  38. und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
  39. eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  40. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
  41. Von Rechts wegen
  42. Gründe:
  43. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen, davon in drei Fällen bandenmäßig
  44. begangen" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren (Einzelstrafen von
  45. zweimal sieben Jahren sechs Monaten, einmal sechs Jahren sechs Monaten
  46. -4-
  47. und einmal von fünf Jahren) verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte
  48. mit seiner Revision, die er auf die Verletzung sachlichen Rechts stützt. Das
  49. Rechtsmittel hat im Strafausspruch Erfolg.
  50. Nach den Feststellungen kaufte der Angeklagte, der Anführer einer
  51. Bande von Betäubungsmittelhändlern war, in vier Fällen Heroin in größeren
  52. Mengen ein und ließ es in einem Zeitraum von knapp sechs Wochen von seinen Mittätern in Kleinmengen an Konsumenten verkaufen. In zwei Fällen wurde
  53. mit jeweils 700 Gramm, in einem Fall mit 200 Gramm und in einem weiteren
  54. Fall mit ca. 80 - 100 Gramm Heroin, das jeweils von hoher Qualität war, Handel
  55. getrieben.
  56. 1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
  57. hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zum
  58. Schuldspruch keinen Rechtsfehler zu Nachteil des Angeklagten ergeben
  59. (§ 349 Abs. 2 StPO).
  60. Insbesondere ist die Jugendkammer rechtsfehlerfrei von vier selbständigen Fällen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ausgegangen. Aus den Feststellungen ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit, daß die
  61. verkauften Heroinbubbles aus vier unterschiedlichen Einkaufsmengen (UA S.
  62. 7, 12, 18, 19) stammen, welche die vielen Einzelverkäufe zu vier Bewertungseinheiten zusammenfassen (vgl. BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 10 und
  63. 20; Weber, BtMG Vor §§ 29 ff. Rdn. 266, 298). Die von der Revision vorgetragene
  64. - rein theoretische - Möglichkeit, daß die zwei Einkaufsmengen von jeweils 700
  65. Gramm Heroin vor Herstellung der Bubbles vermischt worden sein könnten,
  66. -5-
  67. kann nicht zur Annahme einer Bewertungseinheit führen (vgl. Weber, aaO
  68. Rdn. 278 f.).
  69. Da sich das unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln jeweils auf
  70. eine nicht geringe Menge bezog, hat der Senat entsprechend dem Antrag des
  71. Generalbundesanwalts den Schuldspruch geändert.
  72. 2. Der Strafausspruch hat insgesamt keinen Bestand.
  73. a) Die Begründung, mit der die Jugendkammer zur Anwendung von Erwachsenenstrafrecht auf den Angeklagten, der zu den Tatzeitpunkten ca. 19 ½
  74. Jahre alt und damit Heranwachsender war, gekommen ist, weist keinen
  75. Rechtsfehler auf.
  76. Sie hat die gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG erforderliche Gesamtwürdigung seiner Persönlichkeit und der sehr schwierigen Lebensverhältnisse, unter
  77. denen er aufgewachsen ist, vorgenommen. Wesentliche Gesichtspunkte hat
  78. sie dabei nicht übersehen. Daß sie dabei zu dem Schluß gekommen ist, es
  79. handle sich bei dem Angeklagten um eine bereits gefestigte Person mit weitgehend abgeschlossener Entwicklung, liegt noch innerhalb des weiten Beurteilungsspielraums, der dem Jugendrichter zukommt (BGHSt 36, 37 f.; BGH
  80. NJW 2002, 73). Entgegen der Meinung der Revision kommt es für die Gleichstellung eines Heranwachsenden mit einem Jugendlichen nach § 105 Abs. 1
  81. Nr. 1 JGG nicht darauf an, daß er - wie hier der Angeklagte - auf Grund seines
  82. Lebensweges keine echte Chance auf eine positive Entwicklung hatte; vielmehr ist maßgebend, ob in dem heranwachsenden Täter noch in größerem
  83. Umfang Entwicklungskräfte wirksam sind (st. Rspr., vgl. BGHSt 36, 37, 40;
  84. -6-
  85. BGHR JGG § 105 Abs. 1 Nr. 1 Entwicklungsstand 8), was das Landgericht
  86. rechtsfehlerfrei verneint hat.
  87. b) Gegen die Einzelstrafaussprüche und den Gesamtstrafenausspruch
  88. bestehen hingegen durchgreifende rechtliche Bedenken, weil die Jugendkammer bei der Verhängung der hohen Freiheitsstrafen nicht erkennbar geprüft
  89. hat, welche Wirkungen von diesen Strafen für das künftige Leben des zum Urteilszeitpunkt erst 20 Jahre alten Angeklagten in der Gesellschaft zu erwarten
  90. sind.
  91. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB sind bei der Strafzumessung die Wirkungen einer Strafe auf den Täter unter dem spezialpräventiven Gesichtspunkt
  92. einer Resozialisierung zu berücksichtigen (vgl. BGHSt 24, 40 ff.; Gribbohm in
  93. LK 11. Aufl. § 46 Rdn. 21 ff.). Deshalb sind Art und Umfang der Strafe so zu
  94. bestimmen, daß ihr Resozialisierungszweck erfüllt werden kann (vgl. Stree in
  95. Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. Vorbem. § 38 Rdn. 15). Bei der Verhängung
  96. einer sehr hohen Freiheitsstrafe gegen einen jungen Angeklagten, der eine
  97. lange Freiheitsstrafe während einer Zeit verbüßen muß, in der häufig noch entscheidende Weichenstellungen im Hinblick auf das zukünftige Leben getroffen
  98. werden können, besteht die Gefahr, daß wegen des Fehlens jeglicher Perspektive für ein eigenverantwortliches Leben die anzustrebende Wiedereingliederung in die Gesellschaft nicht erreicht wird. Dies gilt vor allem für einen
  99. jungen Straftäter, der bisher - wie hier der Angeklagte - keine echte Chance für
  100. eine positive Entwicklung hatte, auch nicht durch eine erzieherische Einwirkung im Rahmen des Vollzugs von Jugendstrafe.
  101. -7-
  102. Auch der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat zur Bemessung einer
  103. langen Freiheitsstrafe, die gegen einen zum Tatzeitpunkt noch Heranwachsenden zu verhängen war, in einem die Entscheidung nicht tragenden Hinweis an
  104. den neuen Tatrichter ausgeführt, bei einem altersgemäß entwickelten Heranwachsenden seien die von einer solchen Strafe für sein zukünftiges Leben in
  105. der Gesellschaft zu erwartenden Auswirkungen regelmäßig eingehend zu prüfen (BGHR StGB § 46 Abs. 1 Wiedereingliederung 1; so auch Brunner/Dölling,
  106. JGG 11. Aufl. § 106 Rdn. 1; Eisenberg, JGG 9. Aufl. § 106 Rdn. 6), weil die
  107. Reifeentwicklung noch nicht so hoffnungslos abgeschlossen sei, daß bei entsprechenden erzieherischen Bemühungen eine spätere Wiedereingliederung
  108. in die Gesellschaft unmöglich wäre. Soweit der 2. Strafsenat dies aus dem der
  109. Milderungsmöglichkeit des § 106 Abs. 1 JGG zugrunde liegenden Gedanken
  110. abgeleitet hat, vermag der Senat dem nicht zu folgen: Die Vorschrift bezieht
  111. sich dem Wortlaut nach nur auf die lebenslange Freiheitsstrafe und stammt aus
  112. der Zeit vor Einfügung des § 57 a StGB in das Strafgesetzbuch. Im übrigen
  113. bedarf es eines Rückgriffs auf § 106 Abs. 1 JGG nicht, weil nach der ausdrücklichen Regelung in § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB bei jedem Angeklagten, der
  114. nach allgemeinem Strafrecht abzuurteilen ist, die Wirkungen der Strafe für das
  115. zukünftige Leben zu berücksichtigen sind, und zwar unabhängig davon, ob er
  116. zum Tatzeitpunkt Heranwachsender war oder nicht.
  117. Ob sich die Urteilsgründe mit den Wirkungen einer Strafe auf einen zum
  118. Urteilszeitpunkt noch sehr jungen Angeklagten ausdrücklich befassen müssen
  119. und in welchem Umfang dies zu geschehen hat, hängt im Einzelfall von der
  120. Höhe der verhängten Freiheitsstrafe sowie dem Alter des Verurteilten und den
  121. übrigen Strafzumessungserwägungen ab. Dabei gilt der Grundsatz, daß die
  122. sachlich-rechtliche Begründungspflicht umso eher eine ausdrückliche Erörte-
  123. -8-
  124. rung gebietet, je jünger der Verurteilte und je höher die verhängten Freiheitsstrafen sind. Wegen des Alters des Angeklagten von zum Urteilszeitpunkt erst
  125. 20 Jahren, seinem bisherigen Lebensweg und angesichts der verhängten sehr
  126. hohen Freiheitsstrafen hätte bei der Zumessung sowohl der Einzelstrafen als
  127. auch der Gesamtstrafe der Aspekt der Resozialisierung in den Urteilsgründen
  128. als bestimmender Strafzumessungsgesichtspunkt ausdrücklich erörtert werden
  129. müssen. Daß die Jugendkammer dies nicht erkennbar getan hat, stellt unter
  130. den gegebenen Umständen einen durchgreifenden Rechtsfehler dar. Die umfangreichen Ausführungen zu § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG genügen dafür nicht, weil
  131. sie nur auf den Entwicklungsstand des Angeklagten zu den Tatzeitpunkten und
  132. nicht auf die Auswirkungen der Strafen für sein zukünftiges Leben abstellen.
  133. Tolksdorf
  134. Pfister
  135. Becker
  136. von Lienen
  137. Hubert