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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. 3 StR 175/01
  3. BESCHLUSS
  4. vom
  5. 5. September 2001
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen Körperverletzung im Amt u.a.
  9. -2-
  10. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 5. September 2001 gemäß § 349
  11. Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
  12. Auf die Revision des Angeklagten B.
  13. wird das Urteil des
  14. Landgerichts Hannover vom 6. Juni 2000, soweit er verurteilt
  15. worden ist, mit den Feststellungen aufgehoben.
  16. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
  17. und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
  18. eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  19. Gründe:
  20. Das Landgericht hat den Angeklagten, der als Justizvollzugsbediensteter in der JVA H.
  21. tätig gewesen war, wegen Körperverletzung im Amt,
  22. wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt und wegen unerlaubten Besitzes
  23. von zwei Würgehölzern zu einer Gesamtgeldstrafe von 140 Tagessätzen verurteilt.
  24. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der formelle und
  25. sachlich-rechtliche Beanstandungen geltend gemacht werden, hat Erfolg.
  26. I. Körperverletzung im Amt:
  27. 1. Die Strafkammer hat den Angeklagten im ersten Fall wegen Körperverletzung im Amt in der Form eines unechten Unterlassungsdelikts verurteilt.
  28. -3-
  29. Sie hat festgestellt, daß beim Zudrücken der Zellentüre des Gefangenen W.
  30. dessen Unterarm in der Form eingeklemmt wurde, daß die Haut zwischen
  31. Türe und Zarge verblieben ist. Obgleich der Angeklagte dieses Einklemmen für
  32. möglich gehalten habe, sei er weggegangen und habe den schmerzhaften Zustand nicht sogleich beendet. In der Anklage war dem Angeklagten insoweit
  33. vorgeworfen worden, durch aktives Tun den Gefangenen mit Faustschlägen in
  34. die Zelle gestoßen und die Türe derart zugeschlagen zu haben, daß die Haut
  35. des Armes eingeklemmt worden ist. Auf die Veränderung dieses rechtlichen
  36. Gesichtspunktes (Unterlassen statt aktives Tun) hätte nach § 265 Abs. 1 StPO
  37. hingewiesen werden müssen (BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 1). Dem
  38. ursprünglich erstellten Hauptverhandlungsprotokoll ist ein entsprechender
  39. Hinweis nicht zu entnehmen. Nachdem das Unterlassen des Hinweises in der
  40. Revisionsbegründung des Angeklagten vom 28. September 2000 gerügt worden war, hat der Vorsitzende am 10. Januar 2001 in einem Vermerk niedergelegt, daß “nach seiner Erinnerung” in der Hauptverhandlung vom 29. Mai 2000
  41. neben dem Hinweis auf die Änderung des Konkurrenzverhältnisses auch ein
  42. Hinweis auf die mögliche Verurteilung wegen Unterlassens erteilt worden sei,
  43. und hat eine entsprechende Protokollberichtigung veranlaßt.
  44. Durch diese Handhabung kann einer zuvor erhobenen Verfahrensrüge
  45. die Tatsachengrundlage nicht entzogen werden (st. Rspr., vgl. BGHSt 34, 11,
  46. 12). Ob etwas anderes dann gelten könnte, wenn zweifelsfrei ein vom protokollierten Hergang abweichender Ablauf vorliegt (vgl. 5. Strafsenat in BGHR StPO
  47. § 274 Beweiskraft 22), braucht hier nicht entschieden zu werden, da angesichts
  48. der Erklärung des damals anwesenden Verteidigers zum Ablauf der Hinweiserteilung am 29. Mai 2000 einerseits und der erst nach mehr als acht Monaten
  49. der “Erinnerung nach” vorgenommenen Protokolländerung andererseits von
  50. -4-
  51. einer zweifelsfreien Sachlage nicht gesprochen werden kann. Es kann auch
  52. nicht ausgeschlossen werden, daß die Verurteilung in diesem Falle auf dem
  53. unterbliebenen Hinweis beruht.
  54. 2. Beide Fälle der Körperverletzung im Amt betrifft die fehlerhafte Ablehnung des Hilfsbeweisantrags auf Zuziehung eines Sachverständigen zum Beweis der Tatsache, daß der Gefangene W.
  55. wegen einer paranoid-
  56. halluzinatorischen Psychose im Zusammenhang mit exzessivem Drogenmißbrauch und den ihm in der JVA verabreichten Psychopharmaka nicht zeugentüchtig sei. Die Strafkammer hat diesen Antrag in den Urteilsgründen mit der
  57. Begründung abgelehnt, daß sie selbst die erforderliche Sachkunde zur Beurteilung des Zeugen besitze, da “eine paranoid-halluzinatorische Psychose
  58. nicht per se dazu führe, daß ein Zeuge keine zeugentaugliche Auskunftsperson
  59. sei” (UA S. 10). Diese Begründung ermöglicht dem Revisionsgericht nicht die
  60. Nachprüfung, ob das Tatgericht tatsächlich die erforderliche Sachkunde hatte,
  61. dies liegt hier eher fern. Die Strafkammer hat dabei keine näheren Angaben
  62. dazu gemacht, ob und wann eine solche Psychose festgestellt worden ist, ob
  63. sie ebenfalls vom Vorliegen dieser Erkrankung ausgegangen ist und gegebenenfalls wann und auf welche Weise sich diese ausgewirkt hat. Sie hat sich
  64. darüber hinaus auch nicht damit auseinandergesetzt, welchen Einfluß der exzessive Drogenmißbrauch des Zeugen und die in der JVA verabreichten Psychopharmaka im Zusammenhang mit dieser Psychose hatten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß in dem Beweisantrag konkret vorgetragen worden war, daß
  65. der Zeuge an Halluzinationen leide, Stimmen höre, glaube Jesus zu sein und
  66. andere in die Hölle bringen könne u.a., wobei sich diese Beurteilung einer
  67. ausgeprägten Psychose aus einem bei den Akten befindlichen Gutachten von
  68. Prof. Dr. T.
  69. vom Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule
  70. -5-
  71. in H.
  72. ergibt. Dies ist im Rahmen einer Aufklärungsrüge in der Revisions-
  73. begründung ebenso vorgetragen worden wie der Umstand, daß Beamte der
  74. Polizeidirektion H.
  75. bei einer Befragung des Zeugen am 29. Juli 1998
  76. zum Ergebnis gelangt waren, dieser komme wegen seines Gesundheitszustandes als Zeuge nicht in Betracht, da er auf konkrete Fragen sich an zeitliche
  77. Abläufe und Örtlichkeiten angeblich nicht erinnern könne oder von völlig anderen Dingen spreche.
  78. II. Ausüben der tatsächlichen Gewalt über “Würgehölzer”:
  79. Die Strafkammer hat den Angeklagten im dritten Fall wegen Ausübens
  80. der tatsächlichen Gewalt über zwei “Würgehölzer” nach § 53 Abs. 3 Nr. 3
  81. WaffG verurteilt, ein vorsätzliches Handeln indes nicht ausreichend begründet.
  82. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte diese Gegenstände nach
  83. der Teilnahme an einem Kampfsportlehrgang in Holland vom Lehrgangsleiter
  84. als Erinnerungsgeschenk erhalten. Während Würgehölzer (auch Nunchaku
  85. genannt) regelmäßig aus zwei Hartholzstäben oder Metallrohren bestehen, die
  86. durch Lederriemen, eine Schnur oder eine Kette miteinander verbunden sind
  87. (amtliche Begründung, BRDrucks. 74/76 S. 54; vgl. auch BVerwG GewArch
  88. 1987, 276, 277) wiesen diese Geräte im Gegensatz dazu keine massiven Griffe, sondern zwei mit 7, bzw. 10 mm starkem Schaumstoff ummantelte Kunststoffrohre auf. Die Strafkammer hat sie nach Anhörung eines Sachverständigen
  89. gleichwohl als zum Würgen bestimmte Gegenstände im Sinne des § 8 Abs. 1
  90. Nr. 3 der 1. WaffV eingeordnet, weil sich mit ihnen zwar wegen der Ummantelung die schlagartige Unterbrechung der Blutzufuhr nicht erreichen lassen, ein
  91. -6-
  92. Drosselungsvorgang aber gleichwohl möglich sei; hinzu komme, daß sie anders als sonstige derartige Trainingsgeräte keine Sollbruchstelle aufwiesen.
  93. Der Angeklagte hatte sich dahin eingelassen, sie nicht für echte Nunchaku, sondern für Trainingsgeräte für Kampfsportler zum Üben der Abwehr
  94. gegen entsprechende Angriffe gehalten zu haben. Die Strafkammer hat diese
  95. Einlassung, die eine Berufung auf einen Tatbestandsirrtum darstellt, für widerlegt erachtet, weil der Angeklagte als langjähriger Kampfsportler aus der Teilnahme an internationalen Lehrgängen umfassende Kenntnisse auch über die
  96. einschlägigen Kampfgeräte habe.
  97. Gerade unter diesem Blickwinkel hätte sie sich mit dem Umstand auseinandersetzen müssen, daß er diese Gegenstände nach einem Kampfsportlehrgang von dessen Veranstalter als Erinnerungsgeschenk erhalten hatte,
  98. was gegen ihre Einstufung durch die Beteiligten als verbotene Würgehölzer
  99. spricht. Ferner wäre zu erörtern gewesen, ob die vom Sachverständigen für
  100. Trainingsgeräte geforderten Sollbruchstellen auch bei einem ummantelten
  101. Kunststoffrohr für den Angeklagten deutlich erkennbar gewesen waren und ob
  102. die vom Sachverständigen dem Gericht vermittelten spezifischen Abgrenzungskriterien zwischen dem Waffengesetz unterfallenden Würgegeräten unterschiedlicher Bauweise und entsprechenden Trainingsgeräten tatsächlich
  103. Allgemeingut erfahrener Kampfsportler waren, so daß allein aus diesem Umstand auf einen entsprechenden Vorsatz des Angeklagten geschlossen werden
  104. konnte.
  105. III. Für die neue Hauptverhandlung gibt der Senat folgende Hinweise:
  106. -7-
  107. 1. Falls das neu erkennende Tatgericht im ersten Fall erneut zu einer
  108. Körperverletzung durch Unterlassen kommen sollte, wird es das Vorliegen eines bedingten Vorsatzes, wonach der Angeklagte das Einklemmen der Haut für
  109. möglich gehalten habe, näher zu begründen haben. Angesichts des Umstandes, daß der Gefangene zunächst die Hand zwischen Türe und Zarge gehalten
  110. hatte, um ein Schließen zu verhindern, diese dann jedoch zurückgezogen hat,
  111. worauf der Angeklagte die Türe völlig schließen konnte, versteht es sich nicht
  112. ohne weiteres, daß der Angeklagte damit gerechnet hat, eine Hautfalte des
  113. Arms eingeklemmt zu haben. Der Ausruf des Gefangenen, sein “Arm” sei eingeklemmt, konnte bei wörtlicher Auslegung (“der ganze Arm”) vom Angeklagten
  114. als unzutreffende Klage aufgefaßt worden sein, da sich dann die Türe nicht
  115. hätte schließen lassen. Dafür könnte auch sprechen, daß sich der Angeklagte
  116. unmittelbar danach zum Vollzugsabteilungsleiter F.
  117. begeben hatte und
  118. Meldung über das Randalieren des Gefangenen erstattet hat.
  119. 2. Im zweiten Fall wird für den Qualifikationstatbestand des § 340 Abs. 2
  120. Satz 1 StGB a.F. das Tatbestandsmerkmal der lebensgefährdenden Behandlung im Sinne des § 223 a Abs. 1 StGB a.F. eingehender darzulegen sein. Für
  121. die Annahme einer lebensgefährdenden Behandlung genügt zwar grundsätzlich deren objektive Eignung, ohne daß der Eintritt einer konkreten Gefahr gegeben sein müßte, doch muß sich die objektive Eignung stets aus der B ehandlung nach ihren konkreten Umständen im Einzelfall ergeben (vgl. BGHR
  122. StGB § 223 a Abs. 1 Lebensgefährdung 1, 2, 3). Daher wird es darauf ankommen, ob eine Lebensgefährlichkeit in diesem Sinne auch bereits bei der vom
  123. Angeklagten vorgenommenen kurzzeitigen Anwendung des Würgegriffes gegeben war. Subjektiv muß der Täter dabei die Umstände erkennen, aus denen
  124. sich die Lebensgefährlichkeit ergibt (BGHR aaO Nr. 5).
  125. -8-
  126. 3. Im dritten Fall wird das neue Tatgericht Gelegenheit haben, die Einordnung der Gegenstände als “Würgehölzer” einer erneuten Prüfung zu unterziehen. Dabei wird zu beachten sein, daß solche Geräte nach § 8 Abs. 1 Nr. 3
  127. der 1. WaffV nach ihrer Beschaffenheit und Handhabung dazu bestimmt sein
  128. müssen, durch Würgen die Gesundheit zu beschädigen. Die bloße Eignung
  129. reicht dazu nicht. Dabei wird zu erörtern sein, daß die - gegenüber üblichen
  130. Nunchakus - zusätzliche Ummantelung der Haltegriffe mit Schaumstoff die
  131. Würgeeignung wesentlich herabsetzt, was dafür sprechen könnte, daß der
  132. Hersteller diese Geräte nicht als Kampf-, sondern als Trainings- oder Dekorationsgegenstände konzipiert hat. Ferner wird zu klären sein, ob die Anbringung
  133. von Sollbruchstellen nur bei an sich massiven Griffen aus Holz oder Metall
  134. oder auch bei solchen ummantelten Kunststoffrohren üblich ist, wenn sie als
  135. Trainingsgeräte eingesetzt werden sollen.
  136. Rissing-van Saan
  137. Miebach
  138. Pfister
  139. Winkler
  140. von Lienen